Leopold Gottlieb Biwald SJ
(geb. 26. Februar 1731 in Wien, gest. 8. Sept. 1805 in Graz) lehrte ab 1761 „Logik“ und „Metaphysik“, ab 1764 „Physik“ und dies auch nach Aufhebung des Jesuitenordens bis 1805 in Graz.
In der Rezeption der Lehre Newtons veröffentlichte er 1766 seine Lehrbücher der Physik, „Physica generalis et particularis“ und „Institutiones Physicae“, die ab 1766 mehrere Auflagen erlebten, über die Grenzen der Habsburgermonarchie hinaus rasche Verbreitung fanden und dem Autor internationales Ansehen verschafften. Ab dem Jahr 1779 waren die „Institutiones Physicae“ per kaiserlichem Dekret an allen Universitäten und Lyzeen der Monarchie verbindlich als Lehrbuch vorgeschrieben. Biwald führte in Graz als erster „freie Vorlesungen“ über Physik ein, die in eine neue Richtung des Lehr- und Wissenschaftsbetriebes deuteten.
Die Büste zeigt ihn mit der goldenen Ehrenkette des Kaisers und wurde von dem Wiener Bildhauer Johann Martin Fischer 1807 angefertigt. Sie befindet sich heute im Lesesaal der Universitätsbibliothek.
Die Verbreitung der Lehre Newtons hatte ganz allgemein einige Zeit gedauert, setzte ab den 1740er Jahren ein. Der Hemmschuh für die Akzeptanz von Newtons 1687 publizierten Vorstellungen war Descartes’ Theorie gewesen, die alle auftretenden Kräfte auf Druck- und Zugkräfte des Äthers zurückgeführt hatte. Die zentrifugalen Wirkungen der Ätherwirbel dienten als Erklärung der Gravitation. Eine Erklärung für das Gravitationsgesetz gab es ja bei Newton nicht. Ein weiterer Umstand gab Anlass zur Vorsicht gegenüber der Vorstellungswelt Newtons, nämlich die beobachteten Abweichungen von den ursprünglichen Verläufen der Planetenbahnen von Jupiter und Saturn, also der großen Planeten, die nicht mehr und nicht weniger als die Stabilität des Sonnensystems fraglich erscheinen ließen, während kleinere Abweichungen der Planetenbahnen von der elliptischen Form immerhin als Auswirkungen der wechselseitigen gravitationsbedingten Störung der Planeten erklärbar waren. Newton behalf sich mit einem Rückgriff auf Gott, der von Zeit zu Zeit korrigierend in das Sonnensystem eingriff; dieser Gedanke konnte aber nicht von allen akzeptiert werden. Die physikalische Erklärung dieses Problems ließ auf sich warten und wurde schließlich 1799 von Laplace geliefert. – In Graz hing man vergleichsweise früh, ab den 1740er Jahren, der Lehre Newtons an; der Erfolg des Buches Biwalds mag als Hinweis für den generellen Umschwung im Lehrbetrieb der Physik gelten.
Biwald gab ferner die „Theoria philosophiae naturalis reducta ad unam legem virium in natura existentium“ (Rom 1755) seines Ordensbruders Roger Joseph Boskovich heraus. Boskovich hatte dieses Werk verfasst mit dem Ziel, einer einheitliche Theorie der in der Natur wirkenden Kräfte zu verfassen, tat dies als letzter auf rein theoretisch-physikalischer Grundlage und schuf damit ein überaus reizvolles Gedankengebäude einer physikalischen Welterklärung, das heute Gegenstand umfassender wissenschaftshistorischer Untersuchungen besonders im angelsächsischen Sprachraum ist.
„Wissenschaft“ gewann im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine neue Bedeutung. Sie basierte selbstverständlich auf dem Glauben an die Ratio, an die Natur, wobei die seltsame Gleichsetzung, dass das Natürliche auch das Vernünftige sei, zur Ausweitung des wissenschaftlichen Beobachtungsfeldes, zu einer neuen Weite des Gesichtsfeldes führte. Eine neue Form der Erfassung der Umwelt griff Platz, nach Möglichkeit nach „vernünftigen“ Kriterien strukturiert, wie etwa die Ordnung des Pflanzenreiches nach dem Prinzip Carl von Linnés. Diese systematisch-lexikalische Aufnahme konzentrierte sich auf die Erforschung und Erfassung der unmittelbaren Umgebung, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Erschließung der natürlichen Ressourcen für die Wirtschaft zur Beförderung des Wohlstandes und natürlich auch der staatlichen Macht. Der unmittelbare Nutzen einer Kenntnis der Umgebung, der eigenen Provinz, lag auf der Hand, sollte doch die Kenntnis des Landes die Basis für die Nutzung seiner Ressourcen darstellen. So galt es, bei der Erfassung der „Daten“ alle Aspekte zu berücksichtigen, von der Bodenbeschaffenheit, den Bodenschätzen, der Vegetation bis hin zum kleinräumigen Klima. So entstanden die sogenannten Landesmuseen in den Provinzhauptstädten. Für die Steiermark und für Graz forderte dies der Exjesuit und Professor der Physik Leopold Gottlieb Biwald, der 1775 die Erfassung des Landes und die Zusammenstellung der Ergebnisse in einem zentralen Museum in Graz anregte. Sein ehemaliger Ordensbruder Poda hatte ja schon zuvor im Rahmen der Universität Sammlungen anzulegen begonnen. Mit einem „Museum rerum naturalium Styriae“ sollte nach Biwald ein dreijähriger Ausbildungskurs auf den Gebieten Mineralogie, Botanik und Zoologie verbunden sein; es blieb bei der Forderung. Als „Naturforscher“ hatte er Linnés neues System verteidigt.
Lit.: Klemens Konrad Maria Rumpf, Von Naturbeobachtungen zur Nanophysik. Experimente, Wissenschaftler, Motivation und Instrumente physikalischer Forschung und Lehre aus vier Jahrhunderten an der Universität Graz (= Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 40) Graz 2003.
Alois Kernbauer, Bildung und Wissenschaft im Wandel, in: Steiermark. Wandel einer Landschaft im langen 18. Jahrhundert, hg. v. H. Heppner – N. Reisinger (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 12) Wien-Köln-Weimar 2006, 375-390.)