Lehrveranstaltungsverzeichnisse und Personalstände: Readers‘ Digest von Lehre, Forschung und Verwaltung
Die Semester für Semester herausgegebenen Lehrveranstaltungsverzeichnisse und die mit ihnen verbundenen jährlichen Personalstände dokumentieren vom frühen 19. Jahrhundert über zwei Jahrhunderte wesentliche Strukturen und Funktionen der Universität. Studierende entnahmen ihnen die Ankündigung von Vorlesungen, Seminaren und Übungen. Über lange Zeit enthielten die Ausgaben recht genaue Daten über Professor*innen und Habilitierte. Einerseits dienten Angaben zur Mitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften und zu renommierten Auszeichnungen vom Nobelpreis abwärts nicht nur der Repräsentation einzelner Personen, sondern auch der Universität. Andererseits wurde auch die Erreichbarkeit für die Studierenden sichergestellt, indem vor dem Zeitalter der Massenuniversität, das in den 1970er Jahren einsetzte, sogar private Adressen und Telefonnummern angegeben wurden – von Datenschutz, wie wir ihn heute kennen, war damals noch keine Rede. Insgesamt bieten die Lehrveranstaltungsverzeichnisse und Personalstände, die am Universitätsarchiv im Ausmaß von drei Laufmetern zur Verfügung stehen und auch digital abgerufen werden können, eine Fülle von Informationen für die Forschung und die interessierte Öffentlichkeit. Die Extraktion strukturierter Daten nach dem Ende der gedruckten Ausgaben (2011) aus UGOnline ist ein derzeit laufendes Projekt.
Einen besonderen Bestand aus der Zwischenkriegszeit bis in die 1960er Jahre bilden schließlich circa fünfzig Dienstexemplare von Verwaltungsbeamten, die verraten, wie die neuen Ausgaben von Jahr zu Jahr zustande kamen. Veraltete Information wurde durchgestrichen; Ergänzungen mit Kugelschreiber, Bleistift oder Buntstiften ergeben zuweilen ein buntes Bild. Oftmals wurden Einträge auch einfach ausgeschnitten und wie in einer Art Collage andernorts eingefügt. So zeigen sich die pragmatische Vorgehensweise der für den Inhalt Verantwortlichen sowie die Dynamik in Lehre und Personalentwicklung.
Andreas Golob
Zu den digitalisierten Lehrveranstaltungsverzeichnissen und Personalständen
Die strafende Universität
Im Universitätsarchiv befindet sich im historischen Verwaltungsarchiv der Universität ein Bestand von mehreren „Schwarzen Büchern“. In diesen speziellen Indizes wurden die Namen von Studierenden, die aus irgendeinem Grund straffällig geworden waren, erfasst. (Der erste Band ist bei der Erfassung noch in Bearbeitung.)
Band 2 umfasst die Jahre 1849-1934, Band 3 die Jahre 1933/34-1967 mit einem „Ausreißer“ aus dem Jahr 1921. Vor dem Eintragen der Namen wurde die jeweils gleiche Anzahl von Blättern abgezählt, und ein Registerbuchstabe seitlich auf den Band geklebt, dann wurden die jeweiligen Seiten mit händischen Tabellenüberschriften versehen. Dies hatte zu Folge, dass bei Buchstaben mit vielen Namen häufig der Platz fehlte – deswegen erfolgte am Ende der betreffenden Seite ein Verweis auf die Fortsetzung unter einen anderen Buchstaben. Im Band 2 wurden bei den freien Seiten für den Buchstaben „N“ Namen von „H“ ergänzt, bei „Q“ finden sich Einträge zu „K“, bei „U“ Einträge mit „S“, bei „V“ Einträge mit „M“ und bei „W“ mit dem Anfangsbuchstaben „B“.
Die Bestrafungen lassen sich in sechs Kategorien unterteilen:
- Fehltritte gegen die akademische Disziplinarordnung
- Störung der akademischen Ruhe
- Schädigung von Institutseigentum
- Beharrlicher Unfleiß
- Beleidigung gegen akademische Behörden (u.a. Pedelle) und Lehrer.
- Strafrechtliche Tatbestände: Mord, Totschlag, Betrug, Diebstahl, Ehebruch, Unterschriftenfälschung…
- Politisch motivierte Bestrafungen: vor allem in der Zeit des Austro-faschistischen Ständestaates zu beobachten.
- Rassenverfolgung (nach 1933 in Deutschland, ab März 1938 auch im angeschlossenen Österreich): allen jüdischen Absolventen wurde der akademische Grad entzogen.
- Ehrenangelegenheiten und die damit verbundenen Duelle
- Studentische Blödheiten: Trunkenheit, Lärmen in den Straßen, Diebstahl von Verkehrszeichen.
Das Reichsgesetz vom 13. Oktober 1849 regelte die Belange der Universität: so erfolgte die Aufhebung des Privatstudiums (§ 4) und es wurde zwischen immatrikulierten „ordentlichen“ und nicht-immatrikulierten „außerordentlichen“ Hörern unterschieden (§ 5). § 8 regelte die Lernfreiheit: so stand jedem Studierenden eine freie Wahl des Faches, der Vorlesungszeit sowie des Lehrers zu. § 9 legte die Einführung von Semestern fest. Im § 10a wurde die Beziehung zwischen Studenten und Universität genau geregelt: der Student hatte sich persönlich beim Dozenten vorzustellen, seine ausgefüllte Nationale abzugeben, erst dann erhielt er den Immatrikulationsschein. Ein Nichtabholen des Scheines in der Quästur wurde als Nichtbeachtung der Universitätsbehörden betrachtet und mit einer Verweisung von der Universität geahndet. Nach Ende der Aufnahmefrist sandten die Dozenten die gesammelten Nationale an den Dekan, der wiederum zwei Hauptkataloge anfertigen ließ. Studienerfolg war entscheidend: so hatte der Dekan die Pflicht, nachlässige Studenten, die nicht regelmäßig die Vorlesungen oder Übungen besuchten, zu ermahnen. Eine Verweisung von der Universität aufgrund von „beharrlichen Unfleiß“ war möglich.
Die zweite Beilage zu Nr. 416, die „Provisorische Disziplinarordnung“ ging noch genauer ins Detail: so wurde die „Ehre und Würde der Universität“ unter besonderen Schutz gestellt (§ 1). Die Studenten unterstanden zusätzlich zum bürgerlichen Recht, das für alle Bürger des Kaiserreiches galt, auch dem akademischen Recht (§ 3). Studierende wurden zur Befolgung der akademischen Gesetze und Anordnungen angehalten, eine Nichtbefolgung wurde geahndet.
Bürgerliche Behörden mussten der akademischen Behörde bei Gesetzesübertretungen informieren. (§ 5). Regelmäßige Versammlungen waren lediglich „Corporationen“ erlaubt. (§ 6), Studentenverbindungen waren allerdings verboten (§ 11). Dies erklärt auch, warum Studentenkorporationen so bedeutend waren: es war dies die einzige legale Möglichkeit für Studierende, sich zu versammeln. Die Versammlung von Studierenden an öffentlichen Orten außerhalb der Universität war verboten. (§ 7). Dies ist wohl eine Reaktion auf die Revolution von 1848, in denen Studenten und Arbeiter sich gegen die Obrigkeit verbündeten. Rektor oder Dekan durfte jeder akademischen Versammlung beiwohnen. (§ 9).
§ 13 regelte die Art der Bestrafung genau:
- Ermahnung und Verwarnung durch den Dekan
- Rüge durch den Rektor vor dem akademischen Senat
- Verweisung (1-4 Semester) von der Universität
- Verweisung für immer
- Verweisung von allen österreichischen Universitäten für immer.
Dieser Strafkatalog erklärt auch die Existenz der „Schwarzen Bücher“: um sicher zu gehen, dass sich kein straffällig gewordener Studierender an einer anderen Universität einschreiben konnte, wurden alle Universitäten regelmäßig über etwaige Missetäter informiert.
Petra Greeff
Meldebücher am Universitätsarchiv
Im Universitätsarchiv befinden sich für den Zeitraum von 1877 bis 1975 2.665 Meldebücher von Studierenden. Diese Bücher waren die Vorläufer der heutigen "UNIGRAZcard" und dienten sowohl als Ausweis als auch als Studiennachweis bzw. Studienerfolgsnachweis, da alle Lehrveranstaltungen darin eingetragen und sogar vom Vortragenden paraphiert, also abgezeichnet wurden. Bei den Meldebüchern handelte es sich um amtliche Vordrucke, im Laufe der Jahrzehnte gab es Adaptierungen bezüglich Größe und Maße. In den Formularen ab 1900 gab es auch Platz für ein Porträtfoto.
Derzeit können 764 Meldebücher ohne Einschränkung benützt werden, bei den Übrigen gelten die allgemeinen Schutzbestimmungen, die Bücher können jedoch auch selbstverständlich im Universitätsarchiv eingesehen werden.
Die hier gezeigten, chronologischen Beispiele sollen einen Einblick in diese spannende Quellengattung geben. Die meisten Studierenden verwendeten für ihre Meldebücher Fotografien, die in einem Fotoatelier gemacht worden waren, allerdings wurden bei Bedarf auch private „Knipserbilder“ (Beispiel MB 1337 Peter Matasić, MB 222 Gisela Crevato) oder sogar Fotos von Porträtzeichnungen (Beispiel MB 285 Franz Doppelhofer) in dieses amtliche Dokument eingeklebt.
Petra Greeff
Schrödingers Schule der Zukunft
Erwin Schrödinger (1887–1961) ist einer der Nobelpreisträger, die an der Universität Graz tätig waren. Die Auszeichnung wurde ihm 1933, zusammen mit Paul Dirac (1902–1984), für die „Entdeckung neuer produktiver Formen der Atomtheorie“ zugesprochen. Er erhielt sie in jenem Jahr, in dem er wegen der nationalsozialistischen Machtübernahme aus politischen Gründen von Berlin nach Oxford emigrierte. 1936 folgte der gebürtige Wiener einem Ruf auf die ordentliche Professur für theoretische Physik an der Universität Graz, wo er allerdings nur kurz forschte und lehrte. 1938 wurde er, nach einigem Lavieren seinerseits und seitens der nationalsozialistischen Entscheidungsträger, aus politischen Gründen entlassen. Über das Exil in Irland kehrte er Mitte der 1950er Jahre nach Wien zurück.
Im Juni 1937 wurde Schrödinger zum Prüfer für angehende Physiklehrkräfte in Mittelschulen ernannt. In dieser Funktion wandte er sich mit einer grundlegenden Wortmeldung an den Vorsitzenden der Prüfungskommission, den Geologen Franz Heritsch (1882–1945). Das Schriftstück weist eingangs auf das Engagement des Physikers in der Lehre hin, mit dem er seine Verpflichtungen in der Regel übererfüllte. Bei den Angaben zur professoralen Arbeitsbelastung handelte es sich also nicht bloß um ein Lippenbekenntnis. Anlass bot die neue Prüfungsordnung für das Lehramtsstudium, die im Sommer 1937 in Kraft getreten war. In der angesprochenen Sitzung ging es eher um technische Details aus einzelnen Fächern, wie aus dem ebenfalls erhaltenen Bericht an das Ministerium vom 14. Dezember hervorging.
Der Wissenschafter, der eine Revolution in seinem Fachgebiet ermöglicht hatte, sprach sich im Gegensatz zu diesen Einzelheiten visionär für eine Evolution der Prüfungsordnungen gemäß den Fortschritten der global vernetzten Wissenschaften in einem engen, anwendungsorientierten Zusammenhang mit dem „Leben“ aus – zu denken ist hier durchaus umfassend an soziokulturelle, wirtschaftliche, politische und technische Aspekte dieses weiten Begriffs. Die Wissenschaft müsse daher stets federführend eingebunden werden. Der Kontrast zur rigiden und rückschrittlichen Bildungspolitik des autoritären Ständestaats ist augenscheinlich: Wie Helmut Engelbrecht, der beste Kenner der österreichischen Schulgeschichte, ausführte, wurde in den Gymnasien und Realschulen sowie in den höheren Mädchenschulen eine auch öffentlich kritisierte „Zurückdrängung der realistischen Fächer“ zugunsten der Fremdsprachenausbildung betrieben. Zudem hielten ideologische und vormilitärische Inhalte – darunter eine Schießausbildung, die für das Schuljahr 1937/38 angeordnet wurde – in den Lehrplan Einzug.
Schrödinger selbst ließ es schließlich auch nicht bei den atmosphärischen Worten bewenden. Ab den 1940er Jahren entfaltete er eine beachtliche Vortrags- und Publikationstätigkeit, die dem Austausch unter den Wissenschaften und der Wissenschaftskommunikation gewidmet war. Kein Zufall war es daher, dass er seine letzten Lebensjahre in Alpbach verbrachte, das mit seinen 1945 gegründeten Internationalen Hochschulwochen (seit 1949: Europäisches Forum Alpbach) für einen Neubeginn dieses Austauschs stand.
Andreas Golob
Studentenleben 1863: ein Brief des jungen Wilhelm Gurlitt
Im Sommersemester 1863 begann der junge Wilhelm Gurlitt – später der erste Professor für Archäologie an der Universität Graz – sein Studium in Bonn. Dieser Brief beschreibt die Zeit der Studienanfänge: detailliert schildert er seinen Eltern die Probleme bei der Wohnungssuche (auch 1863 gab es nur wenige, leistbare Zimmer für Studierende) und beschreibt den bürokratischen Vorgang seiner Inskription an der Universität Bonn. Größere Probleme schien dabei die Tatsache zu machen, dass der in Rom geborene Gurlitt bei der Angabe seines Vaterlandes keine Antwort wusste, hatte er doch mit seinen Eltern Italien und verschiedene deutsche Staaten bereist. Nach längerer Beratung wurde er angewiesen, als Vaterland „Coburg“ anzugeben. Gurlitt informiert in seinem Brief über die Wohnungspreise in Bonn sowie über die Lebenshaltungskosten eines „eleganten Studenten“, bei dem sich auch die Kosten für den Stiefelputzer oder die Anschaffung einer Lampe und eines Spazierstockes zu Buche schlugen.
Petra Greeff
Zu Gast bei Nobelpreisträger Fritz Pregl
Über die weltweite Anziehungskraft eines ausgezeichneten Forschers der Universität Graz legt die „Besucherliste“ des Medicinisch-chemischen Instituts beredtes Zeugnis ab
Die Besuche galten Fritz Pregl (1869–1930), der 1923 für die Entwicklung der Mikroanalyse organischer Substanzen mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden war. Die Besucher*innen wollten in Graz in Kursen das bahnbrechende Verfahren kennenlernen. Selbst als sich die Nationalstaaten in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen abschotteten, gaben sich somit Student*innen und Forscher*innen von allen Kontinenten in Graz die Klinke in die Hand. Neben den Netzwerken der ehemaligen Habsburgermonarchie und des deutschen Sprachraums, die ganz Mittel- und Südosteuropa umfassten, war Großbritannien stark repräsentiert: So finden sich unter den Affiliationen der Besucher*innen berühmte Spitzenuniversitäten wie Oxford und Cambridge, und durch die Ausdehnung beziehungsweise den Einfluss des britischen Empires kamen auch Interessierte aus Indien und Australien nach Graz. Im weiteren englischen Sprachraum sind Ankünfte aus den Vereinigten Staaten zu verzeichnen, darunter von so renommierten Universitäten wie Harvard, Columbia oder Cornell sowie vom Johns Hopkins Hospital. In Asien zeigt sich ein klarer Schwerpunkt in Japan. Aus diesem Kaiserreich reiste etwa auch ein Leibarzt des Tenno an. Das Spektrum der Personen, die sich unter Angabe biographischer Daten und mit ihren Affiliationen handschriftlich eintrugen, reichte insgesamt von Studierenden über graduierte Nachwuchswissenschafter*innen und Mittelschullehrkräfte bis hin zu Professoren; einige kamen aus der Privatwirtschaft, wie etwa ein Fabrikdirektor aus Kroatien.
Die mitunter nicht einfach zu lesenden Autographen können mit dem Transkript im Band Anton Holasek / Alois Kernbauer, Biochemie in Graz (Graz 1997) verglichen werden. Das hoch interessante Heft, das noch einer genauen Auswertung harrt, kam durch Pregls Assistent und Nachfolger Hans Lieb (1887–1979) mit anderen Nachlassmaterialien ans Archiv.
Andreas Golob